Dauerkrise und Kompromisslosigkeit
Thailand steckt seit einem Militärputsch im September 2006 in einer tiefen politischen Krise. Damals wurde nach Massendemonstrationen im Lande der in mehreren Wahlen siegreiche Premierminister
Thaksin Shinawatra (gesprochen: Schinawat) während eines Auslandsaufenthalts gestürzt. Die Putschisten teilten der Öffentlichkeit die Entmachtung vor einem Bild des Königspaares mit und machten
damit deutlich, wen sie als die Quelle legiimer Herrschaft im Lande ansahen - den König und nicht den gewählten Regierungschef. Die Junta ließ eine neue Verfassung ausarbeiten. Die nach ihren
Vorgaben durchgeführten Wahlen wurden von Parteien gewonnen, die loyal zu dem abgesetzten Thaksin standen. Der Premier war mittlerweile wegen Korruption verurteilt worden, seine Partei wie eine
Neugründung wurden vom Obersten Gericht aufgelöst. Trotzdem wurde Thaksins Schwester Yinluck nach dem Wahlsieg einer weiteren Nachfolgepartei 2011 vom Parlament zur Premierministerin gewählt.
2013 löste sie das Parlament auf und verkündete Neuwahlen, die von der Opposition boykottiert worden. Die forderte den Rücktritt der Regierung und die Einsetzung eines Volksrats, der politische
Reformen auf den Weg bringen sollte.
Wahlergebniss verleihen in Thailand den Gewählten offenbar keine politische Legitimität. Auch eine Verfassung garantiert keine Stabilität. Seit dem Ende der absoluten Monarchie im Jahr 1932 hat
das Land 18 Verfassungen gesehen. Kompromisse zwischen streitenden Parteien scheinen nicht möglich. Um das zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die Geschichte.
Der Neubeginn von 1782
Das nebenstehende Bild zeigt die bisherigen neun Könige der Chakri-Dynastie. In der untersten Reihe sieht man den jetzigen Regenten, König Bhumibol Adulyadej (gesprochen: Bumibon Adunjadä) oder Rama IX, der seit 1946 auf dem Thron sitzt. Unter seinem Vorvorgänger (links neben ihm abgebildet) wurde 1932 die absolute Monarchie durch einen Militärputsch beendet. Der König, Rama VII, ging drei Jahre später ins Exil nach Großbritannien.
Die Dynastie war 1782 von einem General namens Chakri, dem späteren König Rama I, begründet worden, einem Halbchinesen (auf dem Bild in der Mitte der ersten Reihe). Er trug wesentlich dazu, die Birmanen aus dem Land zu treiben, die die vorige Hauptstadt Ayutthaya eroberrt und damit das Ende einer früheren Königsdynastie beendet hatten. Chakri machte Bangkok zum Zentrum seines neuen Reiches.
Die Kooperation von König und Buddha und die thailändische Trinität
Das religiöse Symbol der Chakri-Dynastie ist der Emerald Buddha im Wat Phra Käo, dem königlichen Tempel neben dem Königspalast. Die 45cm hohe Statue aus Jade - nicht aus Smaragd, wie der Name "Emerald" vermuten lässt - stammt aus Nordthailand. Der Legende nach geht seine Herkunft in die Frühzeit des Buddhismus zurück. Der Figur werden magische Kräfte zugeschrieben. Sie diente schon mehreren südostasiatischen Königreichen als schützender Garant der jeweiligen Herrschaft. General Chakri brachte ihn nach seiner Eroberung von Vientiane in Laos nach Bangkok, wo er seitdem sowohl die Sicherheit der nationalen Einheit Thailands als auch seine Überlegenheit gegenüber den benachbarten buddhistischen Ländern garantiert. Rama I ließ für den Buddha zwei kostbäre Gewänder für unterschiedliche Jahreszeiten anfertigen, Rama III fügte ein drittes dazu. Es ist Aufgabe des Königs oder in Abwesenheit des Königs eines Mitglieds seiner Familie dreimal im Jahr einen rituellen Kleiderwechsel durchzuführen.
Es ist also eien Kooperation zwischen König und Buddha, die die Sicherheit und Stabiltät der thailändischen Nation gerantiert. Dabei wird erwartet, dass der König im Sinne der Lehre des Buddha tüchtig und tugendhaft ist. Bhumibol erfüllt in den Augen seiner seiner Landsleute diese Anforderung. Er ist nach dem Zweiten Weltkrieg der einzige Monarch des Landes und Garant für die Stabilität einer konstitutionellen Monarche mit demokratischer Fassade, die auf den drei Säulen Nation, buddhistische Religion und Monarchie beruht.
Die Schwächen des Königs
Bei früheren Krisen war es der König, der einen Ausweg in die Wege leitete. Das passierte zuletzt im Jahr 1992 als der König den "blutigen Mai" beeendete, indem er den Premierminister und den Anführer von Massendemonstartionen gegen dessen Regierung, beide Ex-Generäle, zu sich zitierte und sie aufforderte, den Konflikt zu beenden. Der Premier trat zurück. Die Demonstrationen hörten auf. Danach begann die Erarbeitung und Verabschiedung einer als besonders fortschrittlich gepriesenen Verfassung und gleichzeitig der Aufstieg Thaksins. Die dann 2006 wieder außer Kraft gesetzte Verfassung war die 16. seit 1932. Und Thaksin war der 23. Premieminister des Landes - auf jeden Premier kam also fast eine Verfassung.
Als es 2010 zwischen den Anhängern und Gegnern Thaksins wieder Auseinandersetzungen gab, die ein Blutvergießen zur Folge hatten, war der König nicht mehr in der Lage zu schlichten. Er befand sich nach einer Lungenentzündung seit 2009 im Krankenhaus, aus dem er erst 2013 entlassen wurde. Schwerwiegender als die körperliche und auch geistige Schwäche war dagegen, dass der von der Bevölkerung wegen seiner Tugenden verehrter König keinen geeigneten Nachfolger hat. Sein Sohn, der Kronprinz, wird wegen seines früheren Lebenswandels von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt, seine jüngste Tochter, die vom Volk geliebt wird, hat kaum Chancen, nach dem Ableben ihres Vaters vom Thronrat zur Königin ausgerufen zu werden. - Mehr zu diesem Thema findet sich in einer Vorlesung, die ich 2007 an der Uni Hamburg zum Thema der religiösen Reformen der Chakri-Dynastie gehalten habe.
Die korrumpierte Mönchsgemeinschaft
Nach dem Tode des jetzigen Königs wird damit Legitimation von Herrschaft noch schwieriger als bisher schon. Die Gegner Thaksins und seiner Schwester verstehen sich als Anwälte einer vom König repräsentierten buddhistischen Moral, die von Thaksin und seinen Anhängern korrumpiert worden sei.
Moralische Korruption ist in der Tat ein großes Problem in Thailand. Das ist am deutlichsten in der Institution der nationalen Trinität zu sehen, die eigentlich das Prinzip spiritueller Reinheit verkörpern sollte, dem Sangha, der Gemeinschaft der Mönche. Seit mehreren Jahrzehnten gibt es hier eine Fülle von Skandalen. Der jüngste, der Schlagzeilen machte, kam im Juni 2013 ans Licht und wari der vorläufig letzte in einer langen Kette. Er wurde durch ein Video ausgelöst, das einen Mönch mit einigen Begleitern in einem Privatjet zeigte. Einen Monat später wurde der Mönch währen einer Auslandsreise von den Strafverfolgungsbehörden wegen Unterschlagung; Betrug und Unzucht mit MInderjährigen angeklagt. Ein DNA-Test ergab, dass er der Vater eines jetzt 11jährigen Sohns ist. Seit den Enthüllungen ist der ehemalige Besitzer von zahlreichen Luxuswagen auf der Flucht. Er hatte Millionen Euro an Spenden seiner Anhänger gesammelt, die überwiegend aus dem Nordosten Thailands, dem ärmsten Landesteil, stammen. Ein Großteil der Spenden wurde über das Internet eingeworben und offenbar zweckenfremdet.
Diese Episode ist in mehrfacher Hinsicht typisch. Zum einen zeigt sie, dass die Gemeinschaft der Mönche in Thailand mittlerweile marktorientiert funktioniert.
Der zum Zeitpunkt des Auffliegen des Skandals erst 33jährige Wirapol profitierte von seinem Charme, der Tatsache, dass ihm magische Kräfte zugeschrieben wurden und dem Glauben vieler Thais, dass die Unterstützung der Aktivitäten von Mönchen das eigene Leben befördert. Wirapol hatte Geld gesammelt, um damit die größte Nachbildung des Emerald-Buddha zu errichten, was für die Geldgeber ein sehr verdienstvolles Werk war.
Zum zweiten zeigt dieser Fall, dass die Mönchsgemeinschaft nicht in der Lage ist, Mönche auszuschließen, die sich nicht an die strengen Mönchsregeln halten. Wirapol wurde erst aus dem Orden ausgeschlossen als er schon strafrechtlich verfolgt wurde. Es gibt zwar auf allen Ebenen des Sangha Leitungsgremien von Mönchen, die aber auf Grund des im Orden praktizierten Senioritätsprinzip überaltert sind und sich aus Vertretern unterschiedlicher Richtungen zusammensetzen. Selbstkontrolle wird so verhindert und staatliche Instanzen können nur tätig werden, wenn weltliche Straftatbestände vorliegen.
In Zeiten der absoluten Monarchie hatte der König in THailand wie in den anderen theravda-buddhistischen Ländern die Aufgabe, den Sangha zu unterstützen, aber auch zu reinigen, wenn es not tat. Diese Aufgabe konnte von den nach demokratischen Prinzipien gewählten Politiker nicht bewältigen. Die Reinheit und damit verbundn die Einheit des Sangha zerfiel und damit auch die Einheit der Gesellschaft.
Puppentheater
Diese Bilder wurden Ende Januar 2016 in der Tageszeitung Nation veröffentlicht. Sie zeigen drei Aspekte des Phänomens der "Puppen-Kinder-Engel" (tukkata look thep), die einige Tage lang die erste Seite der Zeitung - wie auch der Bangkok Post - dominierte, nachdem eine Fluglinie erlaubt hatte, Sitzplätze für diese "Kinder" zu buchen. Das linke Bild zeigt einen Mönch, der aus einer Puppe einen "Engel" macht, das mittlere eine Frau, die mit ihren "Kindern" die passende Nahrung für die Kleinen einkauft und die Karikatur einen erschreckten Premierminister aus dem immer noch regierenden Militär. Mehr dazu findet sich in einer Geschichte, die ich nach meiner Reise aufgeschrieben habe.
Eine Nation auf tönernen Füßen
Damit sind zwei der drei Säulen der Staatsideologie Thailands praktisch schon weggebrochen. Die Mönchsgemeinschaft ist nicht mehr in der Lage, die Nation als Ganzes zu legitimieren, ihre Mitglieder bedienen nur noch einzelne Segmente der Gesellschaft und leisten dabei zweifellos auch viel Gutes wie in Suan Mokkh oder Klöstern, die sich um an AIDS Erkrankte und andere Problemgruppen der Gesellschaft kümmern.
Die Institution der Monarchie ist angesichts der Verfassung des alten Königs kraftlos, eine Änderung dieses Zustands ist nicht in Sicht. Die Nation ist gespalten in die alten in der Hauptstadt konzentrierten Eliten und neuen Gruppierungen aus den Peripherien der Macht. Thaksin stammt aus Nordthailand. Dort und im bevölkerungsreichen, aber armern Nordosten hat er seine meisten Snhänger.
Beide Seiten behaupten aber, für das ganze Volk zu sprechen. Das alte Ideal der Legitimation von politischer Herrschaft durch den Buddhismus hat sich nicht im Grundsatz geändert, sondern nur in der Form. Beide Seiten behaupten, die "Demokratie" bewahren zu wollen und laden dabei diesen Begriff moralisch und religiös auf. Biede Seiten berufen sich auf Ideale der Monarchie und haben Mönche an ihrer Seite.
Ein Ausweg aus dieser Dauerkrise ist nur daran zu sehen, wenn Thailand eine ganz und gar säkulare Republik würde. Diese Überlegungen gibt es im Lande, sie werden aber nicht offen geäußert. Sie würden ein nationales Tabu berühren und außerdem unter den Straftatsbestand der Majestätsbeleidigung fallen.
Vorläufiges Schlusswort: Buddhadasa und Demokratie
Buddhadasa galt bei seinen Anhängern als ein religiöser wie gesellschaftlicher Reformator. Er hat auch eine Art politischer Philosophie entwickelt, die er als einen "Dhamma-Sozialismus" bezeichnet hat. Der Demokratie im westlichen Sinn steht er dabei eher skeptisch gegenüber. Im Jahr 1988, als in Thailand über dieses Thema heftig diskutiert wurde, sagte er in einem Vortrag:
"Zu sagen, dass Demokratie immer und absolut gut ist ähnelt einer Vogel-Strauß-Politik, in der der Kopf in den Sand gesteckt wird. Wer das sagt hat nicht berücksichtigt, dass eine Demokratie selbstsüchtiger Leute schlimmer ist als die Diktatur unter einer selbstlosen Person die dem Dhamma und der Gerechtigkeit zuliebe herrscht."
Auch der verehrte Mönch vertrat das Ideal des guten Herrschers, der sich an der Lehre des Buddha orientiert.