In dem Raum, den das nebenstehende Bild zeigt, befand sich sieben Jahre lang mein Arbeitszimmer in Bangkok. Jetzt arbeitet hier eine Mitarbeiterin der Heinrich-Böll-Stiftung, die das ehemalige Pfarrhaus einige Jahre, nachdem einer meiner Nachfolger für die Gemeinde ein größeres Hausan gemietet hat, zu ihrem Südostasien-Büro machte. Das Zimmer ist eine Besonderheit - es liegt im Untergeschoss des Hauses und war auch in der Regenzeit nie feucht. Dafür hatte ich in dieser Zeit den Eindruck, dass sich hinter den Glasscheiben ein Aquarium füllte. Die Fische fehlten allerdings.
Die sieben Jahre, die ich als Pastor der Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in Thailand verbracht habe, waren deshalb die interessantesten meiner kirchlichen Laufbahn, weil ich hier ein Talent entdeckte, das mir in Deutschland nicht aufgefallen war. Ich konnte mit Gemeindegliedern zusammen eine Gemeinde bauen. "Kirche" als Institution war hier kein Thema. Sie war weit weg. In Thailand gab es keine Kirchensteuern, der Vertrag der Gemeinde mit der deutschen Kirche sah vor, dass vor Ort Mitgliedsbeiträge aufgebracht werden musste. Die Zuschüsse aus Deutschland reichten nicht, um neben dem Pastorengehalt auch noch Mitarbeiter zu bezahlen. Nur die Mitarbeit von Freiwilligen konnten sie also mit Leben erfüllen. Aber man konnte schlecht Mitarbeiter für Aktivitäten gewinnen, wenn man die Mitgliedschaft in der Gemeinde zur Voraussetzung machte. Offene Angebote waren also nötig - und davon gab es dann nach einiger Zeit eine ganze Menge.
Eine der ersten Aktivitäten war ein Angebot für mitausreisende Ehefrauen, die sich schnell als DREHSCHEIBE unabhängig machte und bis heute existiert. Es entstand eine Gefangenen-Besuchsgruppe, die sich um die Deutschsprachigen kümmerte, die in den vielen Gefängnissen Thailands ainsaßen, Hilfen für in Schwierigkeite geratene Touristen (jetzt weitergeführt von einem deutschen Hilfsverein) und Aktivitäten im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit,
Dazu kam dann das eher traditionelle Programm einer Gemeinde vom Bibelkreis über Gemeindeabende - etwa zum Verständnis des Buddhismus - und die Vorarbeiten für einen jährlichen Basar. Das alles war immer ebenso lebendig wie der ständigen Veränderung unterworfen. Die Gemeindemitglieder wechselten dauernd, da die meisten nur ein paar Jahre in Thailand blieben.
Und dann war da noch der "harte Kern" eines Pastorendaseins: Gottesdienste und Konfirmandenunterricht. Und auch das hatte in Bangkok eine besondere Note. Gottedienst etwa fan, wie in Deutschland üblich, jeden Sonntag statt, auch dann wenn ich in Urlaub oder auf Reisen war. Dann gestalteten Mitglieder der Gemeinde den Gottesdienst. Hin und wieder predigte ein gelernter Theologe, der mit den Früchten seines landwirtschaftlichen Zweitstudiums sein Geld verdiente. Und wenn kein Prediger da ar, gab es den "Treffpunkt Kirche", bei dem es einen geistlichen Plausch der er gab, die am Sonntag in die Xavier-Hall kamen. "Priesterum aller Gläubigen" - diese reformatorische Maxime wurde hier realisiert.
Konfirmandenunterricht gab es einmal im Monat an einem ganzen Wochenende - und Höhepunkt war eine 10tägige Reise mit dem Gemeindebus in eine der Regionen Thailands mit Besuchen bei einem Missionar, in einem budddistischen Kloster und bei einem Entwicklungshelfer.
Und dann war da schließlich der Chor. Er war eine ziemliche Erfolgsstory - und die hatte mir absolut nichts zu tun. Ich wurde irgendwann überredet mitzusingen und das hat mir dann auch ziemlich viel Spaß gemacht. Der Erfolg des Unternehmens hatte mit dem Konzept zu tun und mit der Chorleitung. Das Konzept sah so aus, dass das Singen und die Gemeinschaft gleich berechtigt im Mittelpunkt standen. Das Wort "Kloster" im Namen des Chors täuscht vor, dass der Chor besonders fromm gewesen sei. Dem ist nicht so. Der Name wurde der bevorzugten Biersorte entlehnt, die nach dem Singen getrunken wurde. (Sie ist inzwischen wie der Chor vom thailändischen Markt verschwunden.) Der Chor war offen für jede und jeden, der Freude am Singen hatte. Es gab hin und wieder Auftritte in Gottesdiensten beider Konfessionen, aber auch öffentliche Konzerte. Die Proben fanden zu meiner Zeit in dem großen Appartment der Chorleiterin statt, die sehr darauf achtete, dass so professionell gesungen wurde wie die anwesenden Stimmen es zuließen.
Die meisten Sänger und Sängerinnen verließen Bangkok irgendwann, auch die langjährige Leiterin. Der Chor überlebte ihren Weggang einige Jahre und blieb ein wichtiges Element in der Bangkoker Kulturszene. Gleichzeitig aber kam es zwei Jahre nach meiner Rückkehr zu einem ersten Treffen in Deutschland unter der Bezeichnung "Bangkoker Exil-Kloster-Chor". Viele Mitglieder sangen auch in Deutschland in einem Chor, hatten er trotzdem den Wunsch, das Bangkoker Flair einmal im Jahr wieder aufleben zu lassen. Seitdem gibt es jährlich ein Treffen im November und ein Ende ist noch nicht abzusehen. Die meisten Mitglieder sind jetzt im Ruhestand.
Was mich angeht, so sind die Treffen eine Gelegenheit zu testen, wie fit ich geistig/geistlich noch bin. Zum Ritual der jährlichen Treffen gehört, dass die eingeübten Stücke zweimal gesungen werden - am Sonnabend-Abend umrahmt von Texten zum jeweiligen Thema (2013: Geist), am Sonntagmorgen in einer Andacht. Die knüpft an die Tradition "weltlicher Gottesdienste" an, die in Bangkok begonnen hatte. Dabei ging und geht es darum, die Grenze zwischen weltlichen und geistlichen Inhalten von Liedern und ihren Texten zu überschreiten.